Impres­sio­nen aus Paris

Sep 2011

Tri­na­tio­na­ler Aus­tausch mit Gobe­lins, Paris,
und der Rerich-Kunst­fach­schu­le, St. Petersburg

Paris 2011

574,7 Kilo­me­ter in der Stun­de könn­te er fah­ren. Auf der Neu­bau­stre­cke zwi­schen Metz und Paris. Welt­re­kord! Guin­ness­buch der Rekor­de für die schnells­te jemals erreich­te Geschwin­dig­keit eines schie­nen­be­trie­be­nen Zuges. TGV V 150, am 3. April 2007.

Wir schrei­ben den 1. Mai 2011. Knapp über vier Jah­re spä­ter, im TGV 9576 von Karls­ru­he nach Paris, Wagen 17. Nicht­rau­cher zwar, aber trotz Reser­vie­rung gilt noch das Faust­recht. Schon bei cir­ca 280 durch die von Gott geküss­te Cham­pa­gne fühlt man sich wie ein Kadett der Bun­des­ma­ri­ne im Jet­lag, beim sieb­ten Auf­entern auf der Gorch Fock. Das küh­le Nass, drü­ben aus den Kel­ler­ge­wöl­ben von Éper­nay, wür­de jetzt schön im Gla­se schäu­men, wenn man es nur aus den kna­ckig engen TGV- Sit­zen zum SB-Tre­sen im spar­ta­ni­schen Steh-Bis­tro schaf­fen wür­de. Gott schüt­ze uns­ren ICE! Und wenn nicht, so möge der alte Herr bis in alle Ewig­keit nur durch Frank­reich fah­ren! 
Nach exakt 3 Stun­den und 2 Minu­ten schlin­gern wir über die Wei­chen des Gare de L´Est.

Paris, Capi­ta­le der Répu­bli­que Fran­çai­se, letz­te Sta­ti­on unse­res tri­na­tio­na­len Work­shops. Ber­lin und St. Peters­burg lie­gen hin­ter uns. Dort ist die Arbeit getan. Nach Paris kom­men wir am Tag der Arbeit. Arbei­ter­kampf­tag. Gear­bei­tet wird nicht und gekämpft schon gar nicht. Wenigs­tens nicht in den Arron­dis­se­ments in denen wir uns bewe­gen. Im Gegen­teil. Vor den Restau­rants und Bars sind alle Stüh­le besetzt und die Grün­flä­chen der Parks bela­gert. Pick­nick hier und Pick­nick da. Unse­re Jungs wol­len gril­len. Davon reden sie schon seit Wochen, nur um mich zu ärgern. Aber dazu sind wir schließ­lich nicht hier. Zum visu­el­len Fixie­ren der sonn­täg­li­chen Impres­sio­nen schon. 
Unse­re rus­si­schen Freun­de kom­men in zwei Grup­pen. Grup­pen­flü­ge von St. Peters­burg nach Paris Charles de Gaul­le waren nicht mög­lich zum gewünsch­ten Ter­min, also muss­te für jeden Teil­neh­mer indi­vi­du­ell gebucht wer­den. Die Péri­phé­ri­que ist ver­stopft. Zum Flug­ha­fen hin kein Pro­blem, nur zurück geht es schlep­pend. Gott­berg und Tis­sot steu­ern die Klein­bus­se der Chambre de Com­mer­ce Paris, Becker und Irin­chen navi­gie­ren tom­tom. Weekend-Rück­rei­se aus der Nor­man­die. Der Pari­ser liebt das Landleben.

Eine Stun­de vor Mit­ter­nacht sind Deut­sche und Rus­sen vereint.

Le FIAP dis­po­se d’u­ne capa­ci­té tota­le de 500 lits dans 200 cham­bres de 1 à 7 per­son­nes (www.fiap.asso.fr). Wir bele­gen nur Ein‑, Zwei‑, Drei- und Vierbettzimmer.

Je nach Geschlecht, Sprach- und Schnarchkapazität. 

Die Bar schließt 23:30. Rien ne va plus! Irin­chen ist müde. Gott­berg sowie­so. Über­setzt wird erst mor­gen. Im Rah­men der Sprach­ani­ma­ti­on, direkt nach dem Früh­stück. Zur Auf­ga­ben­ver­tei­lung. Wenn sich auch die Freun­de mit dem Heim­vor­teil des eige­nen Bet­tes einfinden. 

Luid­mi­la und ihre Mann­schaft sind erschre­ckend frisch, so früh am Mor­gen. Eigent­lich ist es ja mehr eine Frau­schaft. Män­ner sind Man­gel­wa­re in St. Peters­burg, auch bei den Grafikern.

Unse­re ein­ein­hal­be Hand voll Bürsch­lein ist da mucks­mäus­chen­still. Bis zur end­gül­tig voll­zo­ge­nen Auf­tei­lung in Klein-Grup­pen zie­hen wir mit einer hal­ben Hun­dert­schaft Frau­en durch Paris. Gott in Frank­reich wird wohl auch eine Frau gewe­sen sein, so strah­lend prä­sen­tiert sich der Mor­gen. Die Män­ner sind auf Arbeit. Sta­nis­lav ist einer von ihnen. Sta­nis­lav Dmit­rie­vich Iva­nov, der gro­ße Maler und amtie­ren­der Direk­tor der Rerich-Kunst­fach­schu­le. Auf die alten Tage, mit 66 noch, wagt er sich in neue Gefil­de. Paris. Nicht der Lie­be wegen. Die Kunst ist´s, die ihn vom hei­mi­schen Samo­war ins sprach­lich Unge­wis­se treibt. Gott­berg hat wegen der geball­ten women power in sei­nem Rücken ein biss­chen die Ori­en­tie­rung ver­lo­ren, durch­quert zunächst den gan­zen Jar­din du Luxem­bourg, wo gera­de statt­li­che Pal­men, Pome­ran­zen und ande­re Süd­län­der aus muf­fi­gem Win­ter­quar­tier in die Son­ne gescho­ben wer­den, um ihn schließ­lich zu umrunden.

Auf der ande­ren Sei­te der Sei­ne war­ten unter der Glas­py­ra­mi­de end­lo­se Schlan­gen auf Ein­lass. Osa­ma ist nicht mehr. Fürch­tet man die Rache sei­ner Getreu­en oder sind es nur ein­fach viel zu vie­le Tou­ris­ten? Gerüch­te machen die Run­de. Die Leh­rer auch. Wie Schä­fer­hun­de umkrei­sen sie ihre Schäf­lein, die sich ganz den man­nig­fal­ti­gen Ein­drü­cken hin­ge­ben. Für den Rest der Woche gilt die Paro­le: Auf­tei­lung in Grup­pen, Vor­ge­hen nach Auf­ga­ben­stel­lung, Treff­punkt nach Programm! 

Gänz­lich uner­war­tet, sprich­wört­lich aus hei­te­rem Him­mel, beginnt der Work­shop. Jeder ein­zel­ne ist nun gefragt, soll es zei­gen und sich visu­ell offenbaren.

PARIS, wie ICH es sehe!

Die fol­gen­den Tage ver­ge­hen wie im Flu­ge. Eines Nachts, als ich nach end­lo­sen Wegen durch Paris leich­te Ermü­dungs­er­schei­nun­gen zei­ge, sagt Luid­mi­la: „Dide­rosch­ka, the flight from Sankt Peters­burg is very long. But the days in Paris are too short!” „Mor­gen ist auch noch ein Tag!”;, ant­wor­te ich. Und Irin­chen meint: „Da hast du recht, Herr Becker! Ich muss jetzt auch mal schla­fen!” Luid­mi­la hat es ver­stan­den. In extre­men Situa­tio­nen, nach all den Jah­ren, funk­tio­niert es inzwi­schen mit der Ver­stän­di­gung. Dank Sprachanimation.

Es ist ein schlech­tes Jahr, die­ses Jahr, in unse­rem Sin­ne. Ostern ist zu spät, Pfings­ten natür­lich auch. Und die Prü­fun­gen sind dadurch viel zu früh, wegen der ver­fluch­ten Feri­en. Dar­um soll­te sich unse­re neue grün-rote Regie­rung im Länd­le mal zuerst kümmern!

Kei­ne Zeit für lan­ge Work­shops. Und schon gar kei­ne für lan­ge Schnup­per­pha­sen. In einem hal­ben und einem gan­zen Tag muss­te alles fer­tig sein. Sie haben es trotz­dem irgend­wie geschafft. Sprach­schwie­rig­kei­ten hat es natür­lich, wie auch in Ber­lin und St. Peters­burg, ab und zu gege­ben. Aber Zeit zum Unter­arm strei­cheln, Schul­ter tät­scheln und nur mit dem Kopf nicken wie dort gab es nicht.

Der rei­ne Stress war´s, Freun­de! Und Sta­nis­lav bedau­ert sehr, dass er nie eine Spra­che außer Rus­sisch gelernt hat. Mit sei­nem, in jun­gen Jah­ren in der Luther­stadt Wit­ten­berg gelern­ten „Ich kom­me gleich!” kommt er nicht mehr weit, in der heu­ti­gen Welt. Sei­ne per­sön­li­che Bot­schaft an die Jugend ist klar: Lernt Spra­chen! Zur Not auch Eng­lisch, selbst wenn es schwer fällt!

Mucks­mäus­chen­still, gänz­lich unauf­fäl­lig und selbst­los, Punkt 4:00, schleppt die deut­sche mas­ku­li­ne Min­der­heit die sou­ve­nir-geschwän­ger­ten Kof­fer der rus­si­schen Frau­en­schaft zum Bus. Aro­nal­ge­si­chert erwi­dern Becker und Gott­berg die über­schwäng­li­chen Brü­der- und Schwes­ter­küs­se des Abschie­des. Der im frü­hen Mor­gen­wind durch die Stra­ßen­schluch­ten streu­nen­de Staub der wochen­lan­gen Tro­cken­heit treibt uns die Trä­nen in die Augen.

PS:

Der jähr­li­che Arbeits­aus­tausch zwi­schen unse­ren Schu­len in Karls­ru­he und Paris wird seit 19 Jah­ren, die tri­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit mit unse­rer Part­ner­schu­le in Sankt Peters­burg zum drit­ten Mal vom Deutsch-Fran­zö­si­schen Jugend­werk als beruf­li­che Maß­nah­me mit erheb­li­chen finan­zi­el­len Mit­teln geför­dert. An die­ser Stel­le hier­für unse­ren aus­drück­li­chen Dank! Ohne OFAJ wäre vie­les defi­ni­tiv nicht möglich!

Bc | Fotos Bm