Binationaler Austausch mit Gobelins, Paris
Schwarzwald, Oktober 2011
Herrmann Hesse hab ich’s zu verdanken, Freunde!
Wenn der gewusst hätte, was er mit seiner „Wanderung” im Internationalen Jahr der Wälder 2011 anrichtet, er wäre glatt 134 Jahre alt geworden, nur um noch erleben zu dürfen, wie sich 50 Grafiker/innen aus vier Nationen auf seinen Spuren durch den Wald kämpfen.
„Bäume sind Heiligtümer.”
Diese drei Worte der Aufzeichnung „Bäume” in Hesses „Wanderung” haben es ihm angetan. Gonzalo Garcia, der neue Kollege an unserer Partnerschule in Paris. Aus Mexiko Stadt hat es ihn in die Seinemetropole verschlagen. Hier wie dort scheinen Bäume nicht unbedingt selbstverständlich und als Vollprofi hat er natürlich erkannt: Zur bevorstehenden Eröffnung der Fotoausstellung unserer Pariser Kolleginnen muss noch ein begleitendes, illustriertes Büchlein her. Erinnert Euch Freunde! Im Mai waren sie an der Hornisgrinde, die Fotografinnen mit dem schweren Gerät, um Impressionen zum Internationalen Jahr der Wälder sprichwörtlich auf die Platte zu bannen. Hier auf dieser Seite konnte man den Bericht darüber lesen. Verschwunden ist er, unwiederbringlich ausgelöscht, wie auch inzwischen weitere unzählige Wälder.
Auf Deutsch, Französisch und Englisch soll es erscheinen, das Bändchen, mit den visuellen Eindrücken beider Grafikdesign-Klassen. 27 Franzosen und 24 Deutsche sind dazu im Berghaus Hundseck an der Schwarzwaldhochstraße eingetroffen, um 3 Tage in den Wäldern und Mooren um die Hornisgrinde Eindrücke zu sammeln. In Paris stricken sie dann mit heißer Nadel am Finishing. Im Mai 2012 ist es vollbracht, das Werk. Verlegt wird es werden, sobald die Sache mit den Rechten an den „Bäume”-Texten geregelt ist. Kollege Garcia kennt sich aus, ist er doch auch noch im Verlagswesen tätig.
Aber bis dahin ist noch ein Stück Arbeit zu bewältigen. Am ersten Tag gleich die große „Wanderung” aller Teilnehmer über den Westweg. Im Frühtau zu Berge! Wenn auch mit verhaltenem Fallera! Auf den Hochkopf, durchs Moor nach Unterstmatt und von dort durch den Wald zur Einkehr in den Ochsenstall. Inzwischen regnet es in Strömen. Ganz klamm sind sie, die Schüler. Ein Teil der deutschen Frauen hat kein Geld dabei, da sie nicht wissen, was das Wort „Einkehr” im Programm bedeutet und die Französinnen führen nie Bargeld mit sich, da sie in Paris nur mit Kreditkarte zahlen. Geldscheinchen werden herum gereicht. Astrid, die Wirtin ist ganz aus dem Häuschen, hatten wir doch erst im Mai Quartier bei ihr genommen. Sofort legt sie Kollege Gottbergs letzte Musik-CD „Sculptress” zur Erbauung auf. Der lehnt aber eine Autogrammstunde ab, da ihm die Popularität in den Wäldern unheimlich ist. Bei seinem Song „Antilles Smile” klart es dann aber doch wieder auf. Die Hornisgrinde ist in gespenstischen Dunst gehüllt. Durchs Moor hallen gedämpfte Schritte und das Wusch-wusch-wusch des Atomausstiegs. Kontrastprogramm am schrecklich wieder aufgebauten Mummelsee-Hotel: Seegeist, Cuckoo Watch, spicy Curryworscht unn fresch gezappte Bier.
Knapp 10 Kilometerchen waren´s nur Freunde! Aber über fünf Stunden hat´s gedauert. Die Studien im Wald: Fotos, Skizzen und das Wundenlecken. Ihr versteht? Señor Garcia hat es gefallen. Sehr sogar! Aber es war auch seine erste richtige Wanderung im Leben, wie er nach einem dehydrierten Sturztrunk freimütig einräumt.
Zurück im Hundseck beginnt der Workshop. Wenn auch zunächst mit knurrendem Magen. Ein voller Bauch studiert nicht gern! Außerdem war der Küchenwolf mit auf Wanderung und wird erst jetzt aktiv.
6 Kilo bestes badisches Schäufele, mild geräuchert, an 12 Kilo fein gebuttertem Kartoffelpüree und 5 Kilo Sauerkraut in Riesling, mit frischem Lorbeer und Wacholderbeeren. 5 Apfelkuchen und der Rest der 10 Kilo Schwarzwaldcreme vom Anreisetag zum Dessert.
War’s ein bisschen schwer das Essen, Freunde? Ist euch das Weinchen im Kraut nicht bekommen? Oder warum könnt ihr nicht schlafen wie der Küchenwolf und seine rechtschaffen müden Kollegen?
Die Kinder der Nacht irrlichtern durch die stockfinstren Wälder. Ihr Geheul trägt über Berge, fällt tief in die Täler und nistet im Gemäuer. Nachts um zwei muss er hoch, der Küchenwolf. Über den Wipfeln, die sich aus dem schwarzen, sternenlosen Himmel schälen, haben sie sich verstiegen, die Kinder der Nacht. Hängen ganz oben in der alten Sprungschanze wie Fledermäuse und heulen infernalisch. Vampire sind´s, die dem Wald sein letztes Lebenselixier, die Ruhe aussaugen. Auf allen Vieren erklimmt der Küchenwolf Piste und Schanze. Letztere über die steile Rampe himmelwärts, da sich der Treppenaufgang in tiefer Finsternis versteckt. Die Hand sieht man nicht vor Augen. Gerochen müssen sie ihn aber haben, die Kinder der Nacht, und wollen sich davon stehlen, während der Küchenwolf in der morschen Rampe hängt. Bis zum Knie ist er eingebrochen, kann sich aber flugs befreien. Auf dem Hintern rutscht er runter, die Zähne gefletscht, mitten hinein in die quiekende Bande. Hui!
Ein zur Leuchte degradiertes Handy verselbstständigt sich, als es den Küchenwolf blendet. Telekinese war´s Freunde! Wo gehobelt wird, da fallen Späne! Mit dem Fläschlein in der Hand purzeln sie die Piste nach unten, Richtung Berghaus. Wie spielende Wölfchen.
Über allen Gipfeln / Ist Ruh, / In allen Wipfeln / Spürest du / Kaum einen Hauch; / Die Vögelein schweigen im Walde. / Warte nur, balde / Ruhest du auch.*
Am nächsten Tag gehen wir es etwas gemütlicher an. 8.00 Uhr Frühstück vom Büffet, frisch geduscht, 9.00 Uhr Workshop, 13.00 Uhr Mittagessen: 100 Maultaschen in der Brühe, 2 Kilo Fleischkäse, in Zwiebelchen geschmälzt, eine Kiste Markt-Salate, Gurken und Tomaten, 7 Ciabatta, frisch aus dem Ofen und hinterher noch 4 Linzertorten. 14.00 Uhr Workshop.
Und ewig rauscht die Abzugshaube.
Frau Bremberger und Mister Gottberg schneiden Gemüse, spülen ab, putzen und jagen streunende Leckermäulchen aus der Küche. Madame Perclers, Herr Sauter und Señor Garcia heizen derweil der Mannschaft fachlich ein. Von nichts kommt nämlich nichts, Freunde!
Um 19.00 Uhr dann Abendessen.
Schmorstücke vom Hinterwälder-Rind in Spätburgunder an Semmelknödeln. Pilzragout mit Schwarzwälder Speck fein in Alpirsbacher Pils gedünstet und mit frischer Sahne abgeschmeckt. Und Apfelrotkohl mit Stückchen vom frischen Rheinischen Boskoop aus integriertem Anbau, ganz zum Schluss zärtlich untergehoben.
Was macht es da, dass die neugierige, aber gänzlich ungeschulte, Küchenhilfe die Sortenbezeichnung auf dem Herkunftsnachweis der Fleischpackungen völlig falsch interpretiert? „Zungenstück von der Färse”. Was immerhin das Muskelfleisch aus Nacken und Fehlrippe eines zwar geschlechtsreifen, aber immerhin doch jungfräulichen Rindes meint, kolportiert sie unter angeekeltem Zittern mit: „Iiiih, heute gibt´s Pferdezunge zum Abendessen!” Da wird selbst die Kollegin Amazone ganz blass um ihre hübsche Nase.
Nutzen tut´s aber nichts, Freunde: 7 Kilo Fleisch, 120 Semmelknödel, 2,5 Kilo Mischpilze, 5 Kilo Rotkohl, 5 Kilo Zwiebeln, 2 Kilo Möhren und 4 Liter Spätburgunder aus dem Affental sind im Orkus der ewigen Kreisläufe verschwunden. Das Werk von heißen 5 Stunden, in nicht mal einer halben Stunde vernichtet! Die 5 Kilo Quark-X-Press mit Früchten zum Nachtisch fallen da doch gar nicht mehr ins Gewicht!
Nicht ein Krümelchen ist übrig für den Küchenwolf.
Applaus ist das Brot des Künstlers!
* aus „Wandrers Nachtlied”, Johann Wolfgang von Goethe, Küchenwolfs Landsmann
Bc | Fotos Bm, Hannah Gahlert