Wege der Versöhnung!

Mai 2012

Oder: Auf Freun­de schießt man nicht!

Auf knapp 2000 Metern zeig­ten sie uns, wie man rich­tig steigt. Lang­sam atmend, Schritt für Schritt und ohne Pau­se, der ita­lie­ni­schen Gren­ze zu, die hin­ter dem nächs­ten Grat sein muss­te. Raus aus Frank­reich, um im nächst­ge­le­ge­nen ita­lie­ni­schen Cour­ma­y­eur Ver­pfle­gung zu fas­sen. Die war uns am Tag zuvor aus­ge­gan­gen, auf unse­rer zwei­wö­chi­gen Umque­rung des Mont­blanc mit den Scouts de France aus Sainte-Foy-lès-Lyon.

Tri­na­tio­na­les Vor­be­rei­tungs­tref­fen 2012 in Büh­ler­tal
Von links nach rechts:
Kätha Brem­ber­ger, Iri­na Pfaff-Zlen­ko, Mari­na Avtukh, Luid­mi­la Tyukhtyae­va
Mar­tin Sau­ter, Hans-Die­ter Becker, Dou­glas Gottberg

Die letz­te Tafel Scho­ko­la­de haben sie mit uns geteilt, jeder bekam zwei Stück­chen.
Freun­de sind wir damals gewor­den und bis heu­te geblieben.

Tou­jours prêt! All­zeit bereit!

Für mei­ne Eltern und die der ande­ren war es damals nicht gera­de ein­fach, einem 15-jäh­ri­gen Sohn den drei­wö­chi­gen Auf­ent­halt in Frank­reich zu finan­zie­ren. Mona­te­lang haben wir Pfad­fin­der dafür gute Taten umsonst, aber Auto­wa­schen und Wild­wuchs­ro­den gegen Ent­gelt ange­bo­ten. Ohne die finan­zi­el­le Unter­stüt­zung des damals noch tau­fri­schen Deutsch-Fran­zö­si­schen Jugend­wer­kes, hät­ten wir trotz allem den Som­mer wie­der in hei­mi­schen Wäl­dern ver­bracht und von Grieß­brei mit Tro­cken­obst gelebt.

Im Grün­dungs­ab­kom­men zum DFJW (exter­ner Link) vom 5. Juli 1963 setz­ten Bun­des­kanz­ler Kon­rad Ade­nau­er und der fran­zö­si­sche Staats­prä­si­dent Charles de Gaul­le mit der Grün­dung des DFJW ganz bewusst ein Zei­chen: Man setz­te zur Inten­si­vie­rung der deutsch-fran­zö­si­schen Bezie­hun­gen, con­di­tio sine qua non für ein fried­li­ches Zusam­men­le­ben in Euro­pa, auf die Jugend. Quel­le (exter­ner Link)

Con­di­tio sine qua non! (Klas­si­sches Latein, wört­lich über­setzt: „Bedin­gung, ohne die nicht”).

Meint, dass es ohne eben die­se freund­schaft­li­chen Bezie­hun­gen nicht zu einem dau­er­haf­ten fried­li­chen Zusam­men­le­ben in Euro­pa kom­men kann.

Wie recht die Väter die­ses Abkom­mens mit die­ser For­mel hat­ten, erfuhr ich schmerz­lich eini­ge Jah­re später:

Haar­lem, Nie­der­lan­de. Nach ein paar unbe­schwer­ten Skiz­zier­ta­gen mit Cam­ping Aan Zee, nicht weit von der nie­der­län­di­schen Ver­wandt­schaft mei­nes Vaters, schon auf der geord­ne­ten Rück­rei­se, hat uns die unrühm­li­che deut­sche Ver­gan­gen­heit ein­ge­holt. In einem Spei­se­lo­kal wur­de mei­ne Stu­den­ten­cli­que mit mir demons­tra­tiv ignoriert.

Obwohl wir abso­lut nüch­tern, frisch geduscht, geföhnt und aus­ge­spro­chen höf­lich waren.

Men­sen, mit duits accent, ser­vier­te man nichts außer­halb der Tou­ris­ten­or­te. Nazi uit!

Die Ser­vier­kraft war in unse­rem Alter, das Stamm­haus der nie­der­län­di­schen Mon­ar­chie kei­ne drei Kilo­me­ter von mei­nem Geburts­ort ent­fernt und die bedin­gungs­lo­se Kapi­tu­la­ti­on des Groß­deut­schen Rei­ches schon vor über einer Gene­ra­ti­on abgeschlossen.

Das hat mich damals so ver­letzt, dass ich nie mehr in die Nie­der­lan­de ein­ge­reist bin und im Dis­coun­ter immer noch einen gro­ßen Bogen um ihr Gemü­se, ihr Obst und ihre „Bio”-Eier mache. Von Hei­ne­ken ganz zu schweigen!

In den Sturm- und Drang­jah­ren, wäh­rend der Semes­ter­fe­ri­en, bereis­te ich vor­zugs­wei­se und stu­di­en­hal­ber den vor­de­ren Ori­ent und Nord­afri­ka. Im vor­de­ren Ori­ent waren sie sprach­lich und wegen ihrer natio­na­len Ver­gan­gen­heit poli­tisch etwas benach­tei­ligt, die Fran­zo­sen. Aber seit dem Scho­ko­la­den­tei­len ste­hen sie unter mei­nem per­sön­li­chen Schutz! Alle Fran­zo­sen und alle, die sich danach anhö­ren, wie Schwei­zer, Bel­gi­er, Afri­ka­ner und manch­mal auch Kana­di­er. Man hilft sich eben!

Tou­jours prêt! 

In Nord­afri­ka haben sie mir dafür aus so man­cher Pat­sche gehol­fen, mit ihren Sprachkenntnissen.

Im Okto­ber 1993 stand dann eine Abord­nung der Gobe­lins Éco­le de L´Image aus Paris in unse­rem Sekre­ta­ri­at. Aus Stutt­gart hat­te man sie zu uns geschickt, da die Stutt­gar­ter selbst nicht woll­ten oder konnten.

Mir waren sie jeden­falls sofort sym­pa­thisch und unser mehr­jäh­ri­ger Aus­tausch mit dem ita­lie­ni­schen Urbi­no gera­de am Ein­schla­fen. Zu unter­schied­lich die Inter­es­sen und Arbeits­wei­sen der Ita­lie­ner und dann noch das Pro­blem mit der Spra­che. Gan­ze zwei Jah­re muss­ten wir Leh­rer ein­mal pro Woche ita­lie­nisch ler­nen, meist mit weni­ger Erfolg! Stu­pi­do Tedes­co! Außer Ita­lie­nisch ging da gar nichts: ita­lie­nisch die Kul­tur, ita­lie­nisch das Essen, ita­lie­nisch die Pro­jek­te, nicht wirk­lich Platz für eine bar­ba­rie teu­to­ni­ca und einen Aus­tausch zu bei­der­sei­ti­gem Nutzen.

Die Fran­zo­sen wuss­ten, was sie woll­ten und hat­ten von Anfang an Cul­tu­re et Liber­té, im Gepäck. Eine ver­gleich­ba­re Orga­ni­sa­ti­on gibt es in Baden-Würt­tem­berg als ein­zi­gem Bun­des­land bis heu­te nicht, des­halb wur­de eine Koope­ra­ti­on mit Arbeit und Leben in Rhein­land-Pfalz vereinbart.

Cul­tu­re et Liber­té (Kul­tur und Frei­heit) auf der fran­zö­si­schen, Arbeit und Leben auf der deut­schen Sei­te. So unter­schied­lich sich das schon in der Bezeich­nung anhört, so über­ein­stim­mend sind die Zie­le und Durch­füh­rung. Bei­de Orga­ni­sa­tio­nen arbei­ten eng mit dem Deutsch-Fran­zö­si­schen Jugend­werk zusam­men, das von Anfang an unse­re Bina­tio­na­len Work­shops mit ent­wi­ckel­te, ideell und finan­zi­ell unter­stütz­te. Nur so war es mög­lich, dass geschul­te Teame­rin­nen spe­zi­el­le Sprach­ani­ma­tio­nen durch­führ­ten, um den Teil­neh­mern die Natio­nal­spra­chen Deutsch und Fran­zö­sisch näher zu brin­gen, die Work­shops in gemisch­ten Teams sprach­lich betreu­ten und auch das kul­tu­rel­le Rah­men­pro­gramm mit gestalteten.

In den jähr­lich statt­fin­den­den Work­shops sind so etli­che Publi­ka­tio­nen geschaf­fen wor­den. Von berufs­be­schrei­ben­den Bro­schü­ren, über die Unter­schie­de bei­der Län­der in der Aus­bil­dung zum Gra­fik­de­si­gner, ver­schie­de­ne Pla­ka­te für Ver­an­stal­tun­gen von Cul­tu­re et Liber­té und dem Deutsch-Fran­zö­si­schen Jugend­werk, einer Wer­bung zur Unter­stüt­zung der Stadt Karls­ru­he bei ihrer Bewer­bung zur Euro­päi­schen Kul­tur­haupt­stadt, bis hin zum ers­ten Advents­ka­len­der für die fran­zö­si­sche Fnac-Han­dels­ket­te, des­sen Rein­erlös einem inter­na­tio­na­len Pro­jekt der Ent­wick­lungs­hil­fe zu Gute kam.

Der Natur der Din­ge fol­gend und inzwi­schen „erwach­sen” gewor­den nabel­ten wir uns nach dem 10-jäh­ri­gen Jubi­lä­um von unse­ren Unter­stüt­zern Cul­tu­re et Liber­té und Arbeit und Leben ab und arbei­te­ten von nun an direkt mit dem Deutsch-Fran­zö­si­schen Jugend­werk, dem Office fran­co-alle­mand pour la Jeu­nesse in Paris zusammen.

Im Mai 2005 wur­de die Idee zu einem Tri­na­tio­na­len Aus­tausch gebo­ren, im Novem­ber der ers­te Kon­tak­te mit der Rerich Kunst­fach­schu­le in St. Peters­burg geknüpft und im März 2007 das Nevs­ky Pro­ject gestar­tet. Seit der Zeit sind wir zu dritt in einem Boot. Vom Deutsch-Fran­zö­si­schen Jugend­werk geför­dert, fand seit 2008 jähr­lich ein Tri­na­tio­na­ler Work­shop statt.

Erst im Schwarz­wald, dann in Ber­lin, danach in St. Peters­burg und schließ­lich letz­tes Jahr in Paris.

Enge freund­schaft­li­che Ban­de haben sich ent­wi­ckelt, nicht nur beruf­lich, son­dern auch privat.

Sie arbei­ten gut zusam­men, die Karls­ru­her Deut­schen, die Pari­ser Fran­zo­sen und die St. Peters­bur­ger Russen.

Anfang März tra­fen sich die Macher des Aus­tau­sches für zwei Tage in Büh­ler­tal, um die Vor­ha­ben der nächs­ten Jah­re zu bespre­chen. Dies war die 25ste vom Deutsch-Fran­zö­si­schen Jugend­werk geför­der­te Maß­nah­me. Grund genug, sich herz­lich dafür zu bedanken!

Es wird noch viel zu berich­ten geben in den nächs­ten Jah­ren, denn ein Ende ist vor­erst nicht in Sicht. 

2013 wird das Deutsch-Fran­zö­si­sche Jugend­werk 50 Jah­re und unser Aus­tausch 20 Jah­re alt.

Einen Work­shop zum Jubel­jahr wird es geben und nach geta­ner Arbeit wird wie immer auch gefei­ert. Kurio­se Geschich­ten aus aller Welt wer­den die Run­de machen, denn die Welt wird klein, wenn man Freun­de hat.

Wir sind am Mor­gen auf­ge­bro­chen, 
im Wes­ten an Casa­blan­ca vor­bei, 
durch die Vor­ge­bir­ge des Atlas hin­un­ter nach Mar­ra­kesch. 
Für Moham­med und Marok­ko haben wir zu den Waf­fen gegrif­fen, 
für die Asche uns­rer Väter, für die Kin­der unse­rer Söh­ne.
Unse­re Klin­gen hat der tro­cke­ne Som­mer­wind geschlif­fen,
und wir rei­ten, um ein Gelüb­de zu erfül­len: 
Mit dem Gewehr, mit der Lan­ze, mit dem Dolch oder mit der blan­ken Faust wer­den wir uns weh­ren, und nicht län­ger wer­den wir die Ein­mi­schung der Ungläu­bi­gen aus Frank­reich dul­den.


Mike Batt, The ride to Agadir 

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Mehr Infor­ma­tio­nen

Marok­ko, Weih­nach­ten 2008, im Suk von Essaoui­ra, auf dem Weg zur Spa­ni­schen Saha­ra, spät­abends in einem tra­di­tio­nel­len Restau­rant. Den mar­tia­li­schen Song „The Ride to Aga­dir” von Mike Batt noch im Ohr.

Man sitzt dort an den Wän­den ent­lang auf dem Boden, ein Tisch­chen für die Spei­sen vor sich. An der uns gegen­über­lie­gen­den Wand, sucht eine Schön­heit mit lan­des­üb­li­chem Kopf­tuch, offen­sicht­lich den Blick­kon­takt mit mir und lächelt demons­tra­tiv, wenn sie ihn denn hat.

Ihr wisst, Freun­de aus Fleisch und Blut, wie das ist! Man weiß nicht, was man davon hal­ten soll in mei­nem Alter, zumal Frau und Sohn dane­ben sitzen!

Zwi­schen den Gän­gen offen­bart sie mehr und mehr ihr Ant­litz in mei­ne Rich­tung. 
Freun­de, dies ist kei­ne Geschich­te aus Tau­send und einer Nacht und auch kein Pro­dukt der schwüls­ti­gen Träu­me, die mir der nächt­li­che Wüs­ten­wind kalt ins Ohr blies! 
„Par­don Madame, c’est ‘err Békér, de Carl-‘ofer-Schul à Karls­ruh’?” fragt die mitt­ler­wei­le Ent­hüll­te mei­ne Frau, als ich schon am flüch­ten war.

Dja­mi­la (ara­bisch: die Schö­ne) ist mit ihrer fran­zö­si­schen Rei­se­grup­pe von Mar­ra­kesch für zwei Näch­te ans Meer gekom­men. Vor sechs Jah­ren beim Work­shop im Schwarz­wald war sie dabei, schwärmt immer noch von der cui­sine de la forêt noi­re, den schö­nen Tagen und Freun­den in Alle­ma­gne und mir ist´s aus­ge­spro­chen pein­lich, dass ich sie nicht sofort erkann­te! Wie denn auch, bei mitt­ler­wei­le 200 Fran­zö­sin­nen, die außer ihr schon an unse­rem Aus­tausch teilnahmen?

Ach, wie ger­ne wür­de sie wie­der am Aus­tausch teil­neh­men! Lie­ße sich da nicht etwas machen? Als Betreue­rin der Teams vielleicht?

Mucks­mäus­chen­still war´s im Lokal, weil alle lausch­ten, was ihre jun­ge Schö­ne wohl mit dem alten Deut­schen hat.

Mei­ne Frau sieht so etwas sport­lich, Freunde. 

Sie kennt sich aus. Schließ­lich war sie schon in ihrer Jugend­grup­pe vor über 40 Jah­ren mit dem Deutsch-Fran­zö­si­schen Jugend­werk aktiv.

Bc