Oder: Auf Freunde schießt man nicht!
Auf knapp 2000 Metern zeigten sie uns, wie man richtig steigt. Langsam atmend, Schritt für Schritt und ohne Pause, der italienischen Grenze zu, die hinter dem nächsten Grat sein musste. Raus aus Frankreich, um im nächstgelegenen italienischen Courmayeur Verpflegung zu fassen. Die war uns am Tag zuvor ausgegangen, auf unserer zweiwöchigen Umquerung des Montblanc mit den Scouts de France aus Sainte-Foy-lès-Lyon.
Trinationales Vorbereitungstreffen 2012 in Bühlertal
Von links nach rechts:
Kätha Bremberger, Irina Pfaff-Zlenko, Marina Avtukh, Luidmila Tyukhtyaeva
Martin Sauter, Hans-Dieter Becker, Douglas Gottberg
Die letzte Tafel Schokolade haben sie mit uns geteilt, jeder bekam zwei Stückchen.
Freunde sind wir damals geworden und bis heute geblieben.
Toujours prêt! Allzeit bereit!
Für meine Eltern und die der anderen war es damals nicht gerade einfach, einem 15-jährigen Sohn den dreiwöchigen Aufenthalt in Frankreich zu finanzieren. Monatelang haben wir Pfadfinder dafür gute Taten umsonst, aber Autowaschen und Wildwuchsroden gegen Entgelt angeboten. Ohne die finanzielle Unterstützung des damals noch taufrischen Deutsch-Französischen Jugendwerkes, hätten wir trotz allem den Sommer wieder in heimischen Wäldern verbracht und von Grießbrei mit Trockenobst gelebt.
Im Gründungsabkommen zum DFJW (externer Link) vom 5. Juli 1963 setzten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle mit der Gründung des DFJW ganz bewusst ein Zeichen: Man setzte zur Intensivierung der deutsch-französischen Beziehungen, conditio sine qua non für ein friedliches Zusammenleben in Europa, auf die Jugend. Quelle (externer Link)
Conditio sine qua non! (Klassisches Latein, wörtlich übersetzt: „Bedingung, ohne die nicht”).
Meint, dass es ohne eben diese freundschaftlichen Beziehungen nicht zu einem dauerhaften friedlichen Zusammenleben in Europa kommen kann.
Wie recht die Väter dieses Abkommens mit dieser Formel hatten, erfuhr ich schmerzlich einige Jahre später:
Haarlem, Niederlande. Nach ein paar unbeschwerten Skizziertagen mit Camping Aan Zee, nicht weit von der niederländischen Verwandtschaft meines Vaters, schon auf der geordneten Rückreise, hat uns die unrühmliche deutsche Vergangenheit eingeholt. In einem Speiselokal wurde meine Studentenclique mit mir demonstrativ ignoriert.
Obwohl wir absolut nüchtern, frisch geduscht, geföhnt und ausgesprochen höflich waren.
Mensen, mit duits accent, servierte man nichts außerhalb der Touristenorte. Nazi uit!
Die Servierkraft war in unserem Alter, das Stammhaus der niederländischen Monarchie keine drei Kilometer von meinem Geburtsort entfernt und die bedingungslose Kapitulation des Großdeutschen Reiches schon vor über einer Generation abgeschlossen.
Das hat mich damals so verletzt, dass ich nie mehr in die Niederlande eingereist bin und im Discounter immer noch einen großen Bogen um ihr Gemüse, ihr Obst und ihre „Bio”-Eier mache. Von Heineken ganz zu schweigen!
In den Sturm- und Drangjahren, während der Semesterferien, bereiste ich vorzugsweise und studienhalber den vorderen Orient und Nordafrika. Im vorderen Orient waren sie sprachlich und wegen ihrer nationalen Vergangenheit politisch etwas benachteiligt, die Franzosen. Aber seit dem Schokoladenteilen stehen sie unter meinem persönlichen Schutz! Alle Franzosen und alle, die sich danach anhören, wie Schweizer, Belgier, Afrikaner und manchmal auch Kanadier. Man hilft sich eben!
Toujours prêt!
In Nordafrika haben sie mir dafür aus so mancher Patsche geholfen, mit ihren Sprachkenntnissen.
Im Oktober 1993 stand dann eine Abordnung der Gobelins École de L´Image aus Paris in unserem Sekretariat. Aus Stuttgart hatte man sie zu uns geschickt, da die Stuttgarter selbst nicht wollten oder konnten.
Mir waren sie jedenfalls sofort sympathisch und unser mehrjähriger Austausch mit dem italienischen Urbino gerade am Einschlafen. Zu unterschiedlich die Interessen und Arbeitsweisen der Italiener und dann noch das Problem mit der Sprache. Ganze zwei Jahre mussten wir Lehrer einmal pro Woche italienisch lernen, meist mit weniger Erfolg! Stupido Tedesco! Außer Italienisch ging da gar nichts: italienisch die Kultur, italienisch das Essen, italienisch die Projekte, nicht wirklich Platz für eine barbarie teutonica und einen Austausch zu beiderseitigem Nutzen.
Die Franzosen wussten, was sie wollten und hatten von Anfang an Culture et Liberté, im Gepäck. Eine vergleichbare Organisation gibt es in Baden-Württemberg als einzigem Bundesland bis heute nicht, deshalb wurde eine Kooperation mit Arbeit und Leben in Rheinland-Pfalz vereinbart.
Culture et Liberté (Kultur und Freiheit) auf der französischen, Arbeit und Leben auf der deutschen Seite. So unterschiedlich sich das schon in der Bezeichnung anhört, so übereinstimmend sind die Ziele und Durchführung. Beide Organisationen arbeiten eng mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk zusammen, das von Anfang an unsere Binationalen Workshops mit entwickelte, ideell und finanziell unterstützte. Nur so war es möglich, dass geschulte Teamerinnen spezielle Sprachanimationen durchführten, um den Teilnehmern die Nationalsprachen Deutsch und Französisch näher zu bringen, die Workshops in gemischten Teams sprachlich betreuten und auch das kulturelle Rahmenprogramm mit gestalteten.
In den jährlich stattfindenden Workshops sind so etliche Publikationen geschaffen worden. Von berufsbeschreibenden Broschüren, über die Unterschiede beider Länder in der Ausbildung zum Grafikdesigner, verschiedene Plakate für Veranstaltungen von Culture et Liberté und dem Deutsch-Französischen Jugendwerk, einer Werbung zur Unterstützung der Stadt Karlsruhe bei ihrer Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt, bis hin zum ersten Adventskalender für die französische Fnac-Handelskette, dessen Reinerlös einem internationalen Projekt der Entwicklungshilfe zu Gute kam.
Der Natur der Dinge folgend und inzwischen „erwachsen” geworden nabelten wir uns nach dem 10-jährigen Jubiläum von unseren Unterstützern Culture et Liberté und Arbeit und Leben ab und arbeiteten von nun an direkt mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk, dem Office franco-allemand pour la Jeunesse in Paris zusammen.
Im Mai 2005 wurde die Idee zu einem Trinationalen Austausch geboren, im November der erste Kontakte mit der Rerich Kunstfachschule in St. Petersburg geknüpft und im März 2007 das Nevsky Project gestartet. Seit der Zeit sind wir zu dritt in einem Boot. Vom Deutsch-Französischen Jugendwerk gefördert, fand seit 2008 jährlich ein Trinationaler Workshop statt.
Erst im Schwarzwald, dann in Berlin, danach in St. Petersburg und schließlich letztes Jahr in Paris.
Enge freundschaftliche Bande haben sich entwickelt, nicht nur beruflich, sondern auch privat.
Sie arbeiten gut zusammen, die Karlsruher Deutschen, die Pariser Franzosen und die St. Petersburger Russen.
Anfang März trafen sich die Macher des Austausches für zwei Tage in Bühlertal, um die Vorhaben der nächsten Jahre zu besprechen. Dies war die 25ste vom Deutsch-Französischen Jugendwerk geförderte Maßnahme. Grund genug, sich herzlich dafür zu bedanken!
Es wird noch viel zu berichten geben in den nächsten Jahren, denn ein Ende ist vorerst nicht in Sicht.
2013 wird das Deutsch-Französische Jugendwerk 50 Jahre und unser Austausch 20 Jahre alt.
Einen Workshop zum Jubeljahr wird es geben und nach getaner Arbeit wird wie immer auch gefeiert. Kuriose Geschichten aus aller Welt werden die Runde machen, denn die Welt wird klein, wenn man Freunde hat.
Wir sind am Morgen aufgebrochen,
im Westen an Casablanca vorbei,
durch die Vorgebirge des Atlas hinunter nach Marrakesch.
Für Mohammed und Marokko haben wir zu den Waffen gegriffen,
für die Asche unsrer Väter, für die Kinder unserer Söhne.
Unsere Klingen hat der trockene Sommerwind geschliffen,
und wir reiten, um ein Gelübde zu erfüllen:
Mit dem Gewehr, mit der Lanze, mit dem Dolch oder mit der blanken Faust werden wir uns wehren, und nicht länger werden wir die Einmischung der Ungläubigen aus Frankreich dulden.
Mike Batt, The ride to Agadir
Marokko, Weihnachten 2008, im Suk von Essaouira, auf dem Weg zur Spanischen Sahara, spätabends in einem traditionellen Restaurant. Den martialischen Song „The Ride to Agadir” von Mike Batt noch im Ohr.
Man sitzt dort an den Wänden entlang auf dem Boden, ein Tischchen für die Speisen vor sich. An der uns gegenüberliegenden Wand, sucht eine Schönheit mit landesüblichem Kopftuch, offensichtlich den Blickkontakt mit mir und lächelt demonstrativ, wenn sie ihn denn hat.
Ihr wisst, Freunde aus Fleisch und Blut, wie das ist! Man weiß nicht, was man davon halten soll in meinem Alter, zumal Frau und Sohn daneben sitzen!
Zwischen den Gängen offenbart sie mehr und mehr ihr Antlitz in meine Richtung.
Freunde, dies ist keine Geschichte aus Tausend und einer Nacht und auch kein Produkt der schwülstigen Träume, die mir der nächtliche Wüstenwind kalt ins Ohr blies!
„Pardon Madame, c’est ‘err Békér, de Carl-‘ofer-Schul à Karlsruh’?” fragt die mittlerweile Enthüllte meine Frau, als ich schon am flüchten war.
Djamila (arabisch: die Schöne) ist mit ihrer französischen Reisegruppe von Marrakesch für zwei Nächte ans Meer gekommen. Vor sechs Jahren beim Workshop im Schwarzwald war sie dabei, schwärmt immer noch von der cuisine de la forêt noire, den schönen Tagen und Freunden in Allemagne und mir ist´s ausgesprochen peinlich, dass ich sie nicht sofort erkannte! Wie denn auch, bei mittlerweile 200 Französinnen, die außer ihr schon an unserem Austausch teilnahmen?
Ach, wie gerne würde sie wieder am Austausch teilnehmen! Ließe sich da nicht etwas machen? Als Betreuerin der Teams vielleicht?
Mucksmäuschenstill war´s im Lokal, weil alle lauschten, was ihre junge Schöne wohl mit dem alten Deutschen hat.
Meine Frau sieht so etwas sportlich, Freunde.
Sie kennt sich aus. Schließlich war sie schon in ihrer Jugendgruppe vor über 40 Jahren mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk aktiv.
Bc